18. Mai

Eigentlich müsste ich mich kneifen, so traumhaft ist dieser Moment. Schaue ich von meinem Bildschirm auf, sehe ich nur Berge. Die Schatten der Wolken gleiten langsam über das Grün. Am Horizont, rund um den Gipfel, hängen sie fest. Und da, ein Regenbogen! Baut sich ganz langsam, in seinen bunten Farben schimmernd, auf. Was für ein Bild! Dazu das Zwitschern der Vögel und das Rascheln der Blätter, die sich vom Wind bewegen lassen. Zu meiner Linken gibt es eine Koppel mit ein paar Pferden, die gemütlich umhertraben, auf der Suche nach dem besten Futter. Ein Paradies! Das war gestern noch ganz anders.
Mit dem Minibus waren wir Richtung Pai gefahren. Endlose Serpentinen durch die Berge. Nicht jedermanns Sache, hat sich unser Nachbar doch mal direkt aus dem Fenster heraus übergeben müssen. Zu viel getrunken. Alkohol. Was unsere Vermutung über die Stadt bestätigte, dass Pai inzwischen zur Partymeile junger Backpacker geworden ist. Und davon hatten wir im Auto reichlich.
Tags zuvor hatte ich durch Zufall eine Farm gefunden, auf der man angeblich das „local life“ kennenlernen kann – auf dem Feld arbeiten, Essen zubereiten, Wege reparieren, Bambushütten bauen … es klang alles ganz verlockend. Geschmückt mit wunderschönen Bildern von weiten Reisfeldern, Baumhäusern und einer beeindruckenden Natur. Also meldete ich uns an. Erstmal für drei Nächte. Und ich war, zugegeben, auch etwas aufgeregt.
Zwar lag die Farm direkt an der Straße nach Pai, doch der Fahrer machte keinerlei Anstalten, uns zwischendurch rauszulassen. Also fuhren wir in die Stadt rein und nahmen uns am Busbahnhof ein Taxi für das Stück zurück. Mit Sack und Pack standen wir dann am Eingang des Geländes. Und so ganz recht schien es den Inhabern wohl nicht zu sein. Oder vielleicht sahen wir einfach nicht aus wie Leute, die Lust auf Biogemüse und Ökotourismus haben. Keine Ahnung. Jedenfalls wurden wir etwas lieblos von Wiss, einem jungen Mädchen, ein wenig herumgeführt. Es war ein beachtlich großes Gelände. Die Wege waren Trampelpfade, die Beete eher willkürlich angelegt. Alles etwas wild, eben Natur pur. Dreizehn Hütten standen verteilt und teilweise hinter Bäumen und Büschen versteckt auf der Farm. Alle aus Bambus und auf Pfählen gebaut. Sehr rustikal, aber mit Terrasse. Und einer Toilette im Freien. Auf Waldboden. Ausgestattet mit einer Plastikschüssel, die als Toilettenspülung diente. Und anscheinend auch für andere Geschäfte benutzt wurde. Wir wissen es nicht. Zumindest war es doch alles sehr gewöhnungsbedürftig. Für uns. Denn die wenigen anderen Menschen, die wir beim Herumlaufen antrafen, schienen sich recht wohlzufühlen. Mit ihren Dreadlocks und in ihren weiten Stoffhosen, deren Indianermuster man durch den Dreck kaum noch erkennen konnte. Jaja, Klischee, ich weiß. Aber es war halt so. Und das Wort „Eco“ sprang uns auch auf Schildern an jeder Ecke ins Auge.
Wir durften uns eine freie Hütte aussuchen, was wir auch sogleich taten – allein, denn Wiss musste zum Markt. Alles kein Problem. Wir richteten uns halbwegs ein, spannten zum ersten Mal unser Moskitonetz auf und überlegten, ob wir die mit schwarzen Schimmelflecken übersäten Kopfkissen nicht besser als Beschwerer für das Netz nutzen sollten. Und das war eine gute Idee. Was sich im Laufe vermutlich vieler Jahre nicht alles in den stark verstaubten Matratzen eingenistet hatte, die wir notgedrungen nehmen mussten, um nicht auf dem blanken Holzfußboden zu schlafen, wollten wir lieber gar nicht wissen. Dann erfuhren wir noch, dass es unten in der offenen Küche um 18 Uhr Abendessen gibt. Gemeinsames Kochen – darauf hatte ich mich eigentlich schon richtig gefreut. Also erkundeten wir bis dahin weiter die Farm. Diese wirklich tolle Landschaft. Diese Weite, und parallel die doch so nahen Berge. Richtig schön. Die Küche war dann leider das genaue Gegenteil. Zu unserem Leidwesen warfen wir auch einen Blick in den Kühlschrank. Der zwar glücklicherweise leer, aber innen von oben bis unten verdreckt, vergammelt und verschimmelt war. Ein fauliger Geruch schoss uns in die Nase, sodass wir lieber schnell das Weite suchten.
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