15. Juni
“Bloß nicht zu schnell um die Kurve“, denke ich und blicke über meine Schulter nach hinten. Unser Bus ist vollgeladen mit riesigen Taschen und Unmengen von Bambusstangen, oder ist es Zuckerrohr, ich kann es nicht erkennen. Oben drauf liegen große Tüten voller Früchte, Rambutan und Mangosteen, und da drüber unsere beiden schweren Rucksäcke. Die Klappe hinten hängt offen in der Luft, nur mit einer Schnur befestigt, so überladen ist der Bus. Einer der beiden Fahrer kauert irgendwo zwischen all dem Gepäck. Er hält alles zusammen und fest. Also tuckern wir ganz langsam um die Kurven, denn wir haben schließlich ordentlich was zu verlieren.
Der letzte Fahrgast ist gerade eingestiegen. Zumindest gehe ich davon aus, wissen tue ich es nicht. So wie sich hier alle aneinander kuscheln und zusammenrücken passt bestimmt auch noch einer rein. Es ist so herrlich. Mit einem Grinsen im Gesicht beobachte ich nicht, sondern genieße einfach nur. Den Geruch von Käsefrucht, die wohl auf der letzten Tour mit diesem Wagen einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, die saftig grüne Landschaft, hin und wieder durchzogen von Flüssen und Seen, und die klebrig süße Popmusik, den Soundtrack zu all diesen irrsinnigen und schönen Bildern vor meinen Augen.
Vier Kambodschaner drängeln sich vor mir auf den beiden Vordersitzen. Wobei drängeln nicht das richtige Wort ist, entspannt schauen sie aus der Frontscheibe oder haben ihre Köpfe schräg gelegt und entspannen. Der Fahrer hat wie wir einen kompletten Platz für sich, alle anderen müssen ihn sich teilen. Zwei junge Frauen sitzen auf dem Beifahrerplatz, ein junger Mann direkt vor der Gangschaltung neben dem Fahrer.
Ich bin überglücklich, dass wir uns für diese Art der Fortbewegung entschieden haben. Reisen wie die Einheimischen. Wunderbar. Mit weit aufgerissenen Fenstern, denn eine Klimaanlage gibt es natürlich nicht. Wozu auch? Der Wind saust durchs Innere und kühlt ausreichend.
Wir kommen an eine Straßensperre. Auch in Thailand standen immer wieder kleine Häuschen auf der Landstraße, in denen Polizisten saßen. Mal kontrollierten sie die Ausweise der Insassen, meist haben sie uns allerdings direkt durchgewunken. Keine Ahnung was genau sie jeweils gesucht haben. Uns jedenfalls nicht. Markus schaut reflexartig zu den nicht vorhandenen Gurten. Anschnallpflicht? Keiner unserer Mitfahrer interessiert das Vorgehen, also scheint alles in Ordnung zu sein. Der Polizist läuft am Fenster unseres Fahrers vorbei und nimmt unauffällig ein kleines Papierröllchen in Empfang. Aha. So funktioniert es hier also. Leider können wir nicht erkennen, wie viel Geld gerade den Besitzer gewechselt hat.
Ich habe es eigentlich schon geahnt. Wir halten an einem verlassenen Platz an der Landstraße, der Fahrer hupt drei Mal laut und wir begrüßen einen weiten Mitfahrer. Klein und zierlich setzt sich die junge Dame an meine Seite, wir rücken zusammen, es passt alles. Und wieder kann ich mein Grinsen nicht verbergen.
Unterwegs treffen wir immer wieder auf andere Autos, die noch voller beladen sind als unsere. Hier und da liegt auch mal eine herunter gefallene Tasche mitten auf der Straße. Die Kambodschaner transportieren einfach alles und in großen Mengen. Eigentlich könnten sie ihre Heckklappen auch einfach abmontieren. Sie stören doch nur. Nur sollten sie aufpassen, dass das Auto nicht nach hinten kippt und die Vorderräder in der Luft hängen. Ist mit Sicherheit schon vorgekommen, soweit wie die Ladungen hinten überstehen.
Auch nach dem dritten von Rost befallenen Bus, der die Berge nicht geschafft hat, nun am Straßenrand steht und um den Menschen mit Werkzeugen herum wuseln, wird mir immer noch nicht mulmig. Selbst wenn wir hier im Nichts liegen bleiben sollten, es wird irgendwie weiter gehen. Also wozu sich Sorgen machen? So schlecht wie es im Reiseführer steht sind die Fahrbahnen übrigens gar nicht. Vielleicht ändert sich das aber auch noch. Wir werden sehen. Unsere Frontscheibe zählt mindestens sechs Steinschläge, die mit selbstklebender Klarsichtfolie überklebt sind. Carglass repariert…? Aber nicht in Kambodscha!
Und es wird tatsächlich immer ländlicher. Frische und alte Reisfelder säumen die Straßen, weidende Ochsen, die gerade nicht vor einen der Karren gespannt sind, Kühe, die den Verkehr aufhalten und vereinzelte Holzhütten oder Verschläge. Kaum ein Haus ist hier aus Beton gebaut. Oft sind es auch nur an Pfählen befestigte Planen. In Schuluniform gekleidete Kinder laufen uns entgegen und pflücken sich irgendwelche Früchte von den Bäumen.
Armut wohin man sieht, aber komischer Weise macht es uns nicht traurig oder erschrocken. Den Menschen hier scheint es sichtbar gut zu gehen. Sie lachen, reden laut und leben. Die Einheimischen in unserem Bus und die in den Dörfern, die wir hupend durchfahren. Ob sie glücklich sind kann ich nicht sagen, aber zufrieden sehen sie aus und lächeln. Ist Kambodscha vielleicht das Land des Lächelns, nicht Thailand?
Zwischen die Holzhäuser mischen sich Wellblechhütten, eine Horde grauer Ochsen wandert vor uns von links nach rechts, direkt hinein in eines der vielen Reisfelder, am Horizont erstreckt sich wieder das hohe Gebirge, es fängt an zu regnen, der Geruch von frischem Nass mischt sich mit dem von Dung und Käsefrucht, der alte Mann neben mir zieht den Inhalt seiner Nase laut den Rachen entlang in den Mund und spuckt ihn aus dem Fenster und mir tut inzwischen mein Gesäß weh. Ach, das Leben ist so unendlich schön gerade.
Hinter einer Brücke über einen großen See, aus dem noch die Reste eines versunkenen Schiffes heraus gucken, biegen wir ab und parken an einer der vielen Garküchen. Pause. Alle steigen aus, nehmen sich einen Teller Reis mit Suppe und machen es sich auf roten Plastikstühlen bequem. Wir machen Fotos, schauen zu und ich entspanne meinen Hintern bei einer Zigarette. Die Motorhaube wird geöffnet, damit das Innenleben etwas kühle Luft bekommt. Wasser tropft aus dem Auto und bildet eine Pfütze im staubigen Sand. Man schaut uns die ganze Zeit neugierig an, schließlich sind wir die einzigen Ausländer hier in der Pampa. Alle Teller und Schüssel sind leer gegessen, der Fahrer steigt wieder ins Auto ein, alle tun es ihm gleich und wir fahren weiter. Mit etwas mehr Platz, da sich die anderen ein wenig umgesetzt haben. Wir sind begeistert.
Schon im nächsten Dorf halten wir wieder kurz an und nehmen diesmal statt einen weiteren Passagier einen weißen Sack mit, der zwischen die Beine meines Nachbarn verstaut wird und weiter geht’s. Die Sonne hat sich inzwischen durch die Wolken gequält, der Fahrtwind kühlt unsere Köpfe und immer mehr Kühe und Ochsen stehen auf den Feldern oder gar direkt vor uns auf der Straße. Leben pur. Man könnte eine ganze Dokumentation drehen über diese Fahrt. Eigentlich wollte ich schlafen, die letzte Nacht war sehr kurz, aber ich komme nicht dazu. Es ist einfach alles viel zu aufregend.
An der nächsten Polizeisperre werden wir langsamer, diesmal übergibt der Fahrer das Geld über seine Beifahrer aus dem rechten Fenster und wir beschleunigen wieder. Wortlos. Als wäre es das normalste der Welt. Ist es wohl auch. Denn die nur hundert Meter weiter entfernte nächste Kontrolle läuft genauso ab. Langsam gewöhnen wir uns dran.
Wir überholen einen mit Bierwerbung dekorierten LKW. Ganzberg, german premium beer. Ganzberg? Ein Bier aus Deutschland? Noch nie gehört. Und überhaupt, warum ein deutsches Bier hier in Kambodscha? Die haben mit Angkor, Cambodia und Anchor doch eigenes Bier. Und so unfassbar günstig und lecker. Nicht zu verstehen für uns Deutsche.
Mein Nachbar, der ältere Mann hält es gerade nicht mehr aus und zündet sich heimlich hinter dem Beifahrersitz eine Zigarette an. Heimlich nur beim Anzünden, denn natürlich bekommen alle den Rauch mit, der durch den Wagen strömt. Auch das ist wohl normal. So, wie das herauswerfen von Müll. Direkt aus dem Fenster, ohne irgendwelche Anstalten. Schade. Der Eco-Tourismus hat sich etabliert, zumindest ist er sichtbar vertreten. Aber das Müllproblem bekommen sie leider nicht in den Griff. Überall liegen Tüten mit Abfall rum. Deutlich mehr als in Thailand.
Der Regen wird stärker, dass wir anhalten müssen, um den Gepäckberg mit Planen trocken zu halten. Keine Ahnung wie es dem zweiten Fahrer da hinten geht, der hoffentlich zwischen den Kisten und Taschen ein halbwegs trockenes Fleckchen gefunden hat.
Die abgehenden Straßen sind ungeteert und bestehen aus dunkelrotem Sand. Leuchtend ziehen sie sich durch die grüne Landschaft, teilen die Felder und verbinden die kleinen Dörfer.
Nach über vier Stunden Fahrt erreichen wir die Stadt, unser Ziel, und halten am Marktplatz. So richtig wissen wir nicht, ob schon hier die Fahrt für uns zu Ende ist, doch da die meisten unserer Nachbarn sitzen bleiben, harren wir der Dinge, die in Form von fünf Händler sich dicht ans Auto drängen und ihre Waren anbieten. Ein lustiges Treiben und Gerufe beginnt. Kleine Brötchen, lange Brotstangen mit schwarzem Sesam. Es wird gekauft, diskutiert, gehandelt und gelacht. Wir verstehen natürlich kein Wort, finden es aber lustig und haben wieder dieses Grinsen auf den Lippen.
Der Fahrer fährt uns zwei Straßen weiter und lässt uns kurz vor unserem Hotel raus. Perfekt. Was für eine wunderbare Fahrt. Wir nehmen unser Gepäck entgegen, bezahlen 20 Dollar, verabschieden uns von allen und drehen uns um. Wir blicken auf einen großen Kreisverkehr, in deren Mitte eine riesige Käsefrucht aus Stein steht. Den Geruch aus dem Auto noch in unseren Nasen müssen wir beide lachen. Willkommen in Kampot!