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Der letzte Tag

23. Dezember


Zum letzten Mal sitze ich nun an diesem Tisch und schaue hinaus auf die Seitenstraße, über den mit Graffiti vollgekritzelten Zaun in den Himmel, der heute grauer ist als sonst.


Ich bin traurig. Versuche meine Gefühle und Gedanken zu ordnen. Möchte die Eindrücke in mich hineinsaugen und festhalten. Irgendwie ist gerade alles viel intensiver. Ich erlebe die Dinge um mich herum wesentlich bewusster. Alles passiert nun zum letzten Mal. Ich lasse meinen Gedanken freien Lauf.


Vor über acht Monaten sind wir losgezogen. Ohne Plan und mit viel Zeit. Haben Bangkok für uns entdeckt und hier mehr Zeit als anderswo verbracht. Die Stadt ist zu unserem Zuhause geworden. Ich konnte vor ein paar Jahren mit Südostasien überhaupt nichts anfangen. Nun habe ich den es lieben gelernt. Besonders Thailand. Ein wunderbares Land. Ob in der Großstadt oder im Landesinnere. Wir sind kreuz und quer gereist. In den Norden zum Goldenen Dreieck, in die Berge im Westen und in den Süden mit den vielen Inseln. Nur den Nordosten haben wir ausgelassen.


Sechs Länder haben wir bereist. Und jedes war einzigartig und vollkommen anders. Immer wieder sind wir in neue Kulturen eingetaucht. Haben die unterschiedlichsten Landschaften gesehen. Waren beeindruckt und auch enttäuscht. Blicke ich zurück, fallen mir so unendlich viele Dinge ein. Die Begegnung mit Mom in Chiang Rai, das Leben am Mekong und der einsame Strand in Hoi An. Welches waren die schönsten Momente? Ich weiß es nicht. Ein Wertung oder Platzierung ist nicht möglich. Denn es waren oft so kleine Dinge, die sich in mir festgesetzt haben. Gesten, Situationen und Begegnungen mit den Einheimischen. Es kommen Bilder hoch von den Landschaften. So ärgerlich der Ausflug nach Sapa in Vietnam auch war, die Gegend und Natur war atemberaubend. Wie auch die in Laos, als wir mit dem Luxusboot den Mekong hinaufgeschippert sind. Oder das riesige Gebiet von Angkor mit den unzähligen Tempelruinen.


Gerade hat es angefangen zu regnen. Ein Zeichen? Ein Spiegel meiner Gefühle? Sicher nur ein Zufall. Aber so passend.


Oft habe ich mich selbst gefragt, ob wir uns verändert haben. Was die Reise mit uns selbst gemacht hat. Und so richtig habe ich noch keine Antwort gefunden. Sind wir entspannter und ruhiger geworden? Hier mit Sicherheit. Aber dies wird sich in Deutschland wieder ändern. Andere Umgebung, alte Gewohnheiten. Auf jeden Fall haben wir uns beide noch besser kennengelernt. Gelernt, miteinander umzugehen. 24 Stunden Zweisamkeit klingt für viele unvorstellbar. Aber es hat wunderbar funktioniert.


Wir haben vielleicht einen anderen Blick auf unser Leben gewonnen. Was ist wichtig, auf was kann man verzichten? Die Prioritäten haben sich verändert. Die Familie und Freunde sind ganz nach oben gerutscht. Und wir selbst auch. Wie gehen wir mit uns um? Wie wichtig ist das Wirken auf andere? Müssen wir uns allen gesellschaftlichen Zwängen hingeben? Unser Bewusstsein für uns selbst hat sich verändert. Es geht nicht nur um Ziele und Erfolge. Es geht uns inzwischen mehr um das Leben, den Weg. Was ist jetzt? Was wollen wir jetzt? Und warum machen wir nicht jetzt das was wir wollen? Die letzten Monate haben wir genau das getan. Sind geblieben, wo es uns gefallen hat. Haben Pläne umgeworfen und auf unseren Bauch gehört. Uns den Zwängen und Strukturen entzogen. Was natürlich einfach war, denn wir waren frei. Mussten nicht morgens aufstehen und zur Arbeit gehen, um Geld zu verdienen. Doch dies würden wir gern behalten. Die Freiheit. Aus Freude Arbeiten. Warum nicht auch von unterwegs? Ich habe mich viel mit dem Thema ortsunabhängiges Arbeiten beschäftigt. Mich mit vielen Leuten ausgetauscht und Ideen gesammelt. Dabei geht es mir nicht darum, endlos zu reisen. Aber die Möglichkeit zu haben, jederzeit von überall auf der Welt zu arbeiten ist ein Gedanke, der mich nicht loslässt. Wir sind vielleicht auch etwas freier und offener im Kopf geworden.


Gestern saßen wir in unserem kleinen Park um die Ecke. Ich habe Markus gefragt, was er am meisten vermissen wird, wenn wir wieder zurück in Deutschland sind. Die Antwort war nicht einfach. Doch wir sind uns einig, dass es das Lebensgefühl ist. Die Unbeschwertheit. Die Freundlichkeit der Menschen. Hat man Hunger, geht man auf die Straße. Man muss sich darum nicht kümmern. Die Auswahl ist immer groß und das Obst mundgerecht geschnitten. Man muss sich morgens keine Gedanken machen, was man anzieht. Wie das Wetter wird. Pullover? Schal? Regenschirm? Hier ist es egal. T-Shirt, kurze Hose, Flip Flops. Warm ist es immer. Mal mehr, mal weniger. Und wenn es regnet, stellt man sich irgendwo unter. Die Sonne kommt meist schneller wieder raus als man denkt.


Ich weiß gar nicht, was ich schreiben soll. Die Gedanken fliegen wirr und nicht greifbar in meinem Kopf umher. Es sind zu viele. Ich fange einen ein, beginne einen Satz und lösche ihn wieder, da der nächste schon wieder kommt. Wahnsinn.


Es war eine tolle Zeit. Keine Frage. Einmalig, denn so würden wir nicht nochmal losziehen. So etwas macht man wohl auch nur ein Mal im Leben. Ich bin froh, dass wir es überhaupt gemacht haben. Wünsche mir sehr, dass wir viel mitnehmen auf unseren weiteren Weg. Dass wir zukünftige Entscheidungen anders treffen. Dinge von anderen Seiten sehen. Anders werten. Weiterhin auf uns selbst achten. Zufrieden und uns selbst treu bleiben. Kleine Gesten mehr wertschätzen.


Was uns auf jeden Fall bleibt, sind diese Texte und die vielen Fotos von Markus. Ein Stück dokumentiertes Leben. Was anfangs nur für die Familien und Freunde gedacht war, ist nun für uns selbst eine festgehaltene Erinnerung geworden.



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