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Das grüne Paradies

7. August


Viel geschlafen haben wir nicht. Heute ging es wieder früh raus. Ein großes Highlight wartete auf uns, auf das wir uns schon seit einer Woche gefreut haben. Eine Kreuzfahrt auf dem Mekong. Nicht auf einem riesigen Schiff, sondern auf einem Boot. Allerdings mit gehobener Ausstattung. Wir wollten uns etwas gönnen.


Eigentlich sollte es die Shampoocruise werden. Doch durch Zufall kamen wir an dem Büro des Luxusanbieters Luang Say Cruise vorbei. „Lastminute Special“ stand auf der Tafel, also sind wir rein und kamen mit einer auf edlem Papier ausgedruckten Buchungsbestätigung wieder raus. 399 Dollar pro Person kostet eigentlich der 2-Tagestripp inklusive Übernachtung und Vollpension. Wir haben ihn für 160 Dollar bekommen. Denn die meisten Touristen fahren von Huay Xai nach Luang Prabang flussabwärts. Wir nahmen die andere Richtung, die kaum ausgelastet und somit zum Sonderpreis angeboten wurde.


Bevor uns das Tuktuk abholte, wollten wir noch mal die Mönche beim Bettelgang beobachten. Ich wollte unbedingt die Zeremonie zuvor im Wat sehen, wenn sie auf die großen Trommel schlagen. Stellte mir vor, wie sie alle im morgendlichen Halbdunkel im Kreis stehen. Doch nichts dergleichen fand statt. Einer der Mönche ließ die Trommel mit ein paar Schlägen erklingen und das war’s. Sie versammelten sich vor dem Eingangstor des Wats und liefen in einer Reihe los. Na toll.


Wir gingen zurück ins Hotel, kochten uns einen Kaffee, setzten uns auf die kleine Terrasse vor dem Eingang und genossen die Prozedur direkt vor uns auf der Straße. Im Hinterkopf hatten wir die Bilder der Massen oben auf der Hauptstraße. Hier dagegen waren wir fast ganz allein.


Unser Tuktukfahrer stand eine Viertelstunde früher als geplant vor der Tür, um uns abzuholen. Wir sammelten noch zwei weitere Passagiere ein und fuhren zur Anlegestelle, wo uns direkt das Gepäck abgenommen wurde. Nun war es endlich soweit. Eine Fahrt auf dem Mekong. Und das gleich zwei volle Tage. Wir waren so aufgeregt.


40 Gäste haben auf solch einem Boot Platz, wir waren sechs. Genauso viele, wie Crewmitglieder. Wir hatten also das Boot fast für uns allein. Ein Traum zum Schnäppchenpreis!


Der englischsprachige Guide begrüßte uns und erklärte kurz, was uns alles erwarten wird. 300 km in zwei Tagen. Mit Zwischenstopp in Pak Beng, wo wir in einer luxuriösen Lodge übernachten werden. Unterwegs besuchen wir eine Höhle und zwei Dörfer. Eines ist für die Herstellung von Whisky bekannt, deren Prozedur wir beiwohnen dürfen.


Das Boot legte ab und es wurde Frühstück serviert. Croissants, Baguettes, gekochte Eier, Obst und Kaffee. Und da saßen wir nun in einer bequemen Sitzecke, an einem gedeckten Tisch auf dem Mekong, mitten in einer Traumkulisse. Um uns herum nur Natur. Wolkenverhangene Berge und der Geruch von Wasser, zwischen dem sich ab und an die Abgase vom Motor mischten, der monoton vor sich her tuckerte und das Boot gegen die Strömung vorantrieb. Ein wahrer Genuss. Dekadenz in Laos. Wir hatten alles was wir wollten und waren rundum glücklich. Ein vorgezogenes Geschenk an uns selbst. Herzlichen Glückwunsch zum Hochzeitstag!


Die Geschwindigkeit wurde gedrosselt, wir fuhren links ans Ufer und blickten auf ein Loch in einer glatten, steilen Felswand. Eine kleine, nur mit einem Boot erreichbare Höhle mit gleich drei Namen. Ting Cave, angelehnt an der Form der Aushöhlung, die auf Laotisch Ting genannt wird. Pakou Cave, benannt nach dem kleinen Fluss, der gegenüber in den Mekong fliest. Und Buddha Cave, denn in dieser Höhle standen etwa 4.000 Buddha Figuren. Alle von Besuchern hergebracht. Denn an diesem Ort wird der Mekong heiliggesprochen. Die Einheimischen kommen regelmäßig einmal im Jahr zum Beten her. Die Touristen dagegen kommen täglich. Da es noch so früh am Morgen war, waren wir glücklicher Weise die einzigen und konnten uns in Ruhe die vielen großen und kleinen und so unterschiedlichen Figuren ansehen, die jedoch alle den gleichen Buddha mit drei wichtigen Merkmalen darstellten, wie uns unser Guide erklärte. Deren vier Finger an den Händen waren bei allen geschlossen und gerade, was bedeutet, dass wir alle gleich sind, ob arm oder reich. Vier Finger, vier Gleichnisse. Wir werden geboren, wachsen auf, sammeln Erfahrungen und wir sterben. Ob man viel oder wenig Geld angesammelt hat ist egal, denn nach dem Tod bleiben nur die Seele und das Karma übrig. Und darum geht es im Leben eines Buddhisten. Dann war bei jeder Figur der Blick nach unten gerichtet. Denn man soll immer zuerst auf sich selbst schauen, bevor man andere beurteilt. Dazu hatten alle nach unten lang gezogene Ohren. Denn man soll genau zuhören, bevor man seine Entscheidungen trifft. Abwägen und beobachten.


Außen an der Felswand der Höhle war weit über unseren Köpfen eine Markierung des Wasserstands von 2008 gezeichnet, eine weitere von 1966 sogar noch darüber. Damals musste das Wasser demnach bereits die erste Ebene über der Treppe erreicht haben. Kaum zu glauben.


Zurück auf dem Wasser wurden uns Chips aus Bananen und Süßkartoffeln serviert. Diese haben wir schon oft auf Märkten gesehen. Meist werden Bananen in Scheiben geschnitten und frittiert. Übrig bleibt leider fast nur der Fettgeschmack. Die roten Süßkartoffeln aber hatten etwas ganz Eigenes und wurden schnurstracks von mir verputzt. So ein kleiner Snack zwischendurch geht doch immer.


Und wir genossen wieder die Schönheit der Natur. Das faszinierende war, dass sämtliche Felsen und Berge komplett mit Bäumen, Palmen und Sträuchern überzogen waren und alles in eine tiefgrüne, fruchtbare Landschaft verwandelten. Die Pflanzen reichten bis ins Wasser hinein, am Ufer sahen wir oft nur noch die Blätterkronen der Bäume. Was für gigantische Wassermassen, die sich ihren Weg nach Süden suchten. In Luang Prabang haben wir eine Postkarte gefunden, auf der der Mekong in der so genannten „Dry Season“ abgebildet war. Also in der Zeit zwischen November und März, in der der Wasserpegel am tiefsten ist. Kleine Stände waren darauf abgebildet, aufgebaut auf Sandbänken. Der Fluss war so schmal, dass wir es gar nicht glauben konnten, als wir zur abgebildeten Stelle ans Ufer liefen, um einen direkten Vergleich zu bekommen.


Während Markus mit geschlossenen Augen vor sich hin döste, fing es an zu Regen. Vor uns lag eine einzige Nebelschwade, durch die uns der Kapitän gekonnt manövrierte. Schnell wurden die durchsichtigen Planen heruntergelassen, damit wir weiterhin im Trocknen sitzen konnten. Und kaum waren sie alle unten, hörte der Regen auch schon wieder auf und die Sonne kam raus. So erlebten wir die letzten Tage. Regenzeit. Mal regnet es ein, zwei Tage lang durch, mal scheint nur die Sonne, doch meistens war es ein Mix aus beidem in raschem Wechsel.


Wir unterhielten uns ein wenig mit unserem Guide über das Leben in Laos. Über den Unterschied zwischen Berg- und Feldreis. Ersterer hat wohl viel mehr Geschmack, da die Felder im Gebirge jedes Jahr an anderen Plätzen angelegt werden müssen und der Boden somit nährreicher ist. Auf den Feldern hingegen wird Jahr für Jahr an den gleichen Stellen geerntet. Und das schmeckt man anscheinend.


Er erzählte uns von den Erdnusspflanzen, die nur einen halben Meter hoch wachsen und für drei bis vier Monate an den Ufern des Mekong angebaut werden, während der Wasserstand niedrig ist. Laoten essen die Nüsse gekocht oder gebraten, in Speisen und als Snack zu alkoholischen Getränken. Wie lieben sie auch pur, ganz ohne Wodka und Whiskey.


Unser Guide hießt Saymoua und ist in einem Bergdorf geboren. Vier Stunden mit dem Bus und nochmal drei Stunden zu Fuß von Luang Pabrang entfernt. Als er zwei Jahre alt war, heiratete seine 13 Jahre ältere Schwester einen Mann aus der Stadt, zog zu ihm und nahm Saymoua mit. So konnte er zur Schule gehen, die es in seinem Heimatdorf bis heute nicht gibt. Inzwischen ist die Schwester 35 Jahre alt und bereits vierfache Oma. Wow, dachte ich. Sein kleinerer Bruder lebt noch immer bei seinen Eltern und arbeitet ohne jegliche Schulbildung als Farmer.


Ob er schon mal im Ausland war, habe ich ihn gefragt. „Nur in Thailand“, sagte er. „Ein Kurztrip für eine Nacht nach Chiang Rai.“ Aber er möchte später gern mehr Reisen. Nach Vietnam. Einmal das Meer sehen und darin schwimmen, denn Laos hat keinen Zugang zum großen Wasser. Aber noch habe er nicht das nötige Geld dafür. Was für ein Traum. Für uns so unvorstellbar. Vorher hatten wir ihm erzählt, wo wir in den letzten Monaten schon überall waren und wo wir noch hinreisen wollen. Ich schämte mich fast vor ihm, der hier auf dem Boot etwa 150 Dollar im Monat verdient. Weniger als wir pro Person für die zwei Tage bezahlt haben.


Auch erzählte er uns von den Goldwäschern hier am Mekong. Wenn der Wasserstand niedrig ist, kommen sie mit ihren Schalen und waschen und sieben den Sand. Gold soll es hier reichlich geben. Vielleicht sollten wir uns hier niederlassen und mit Gold reich werden?


Lunchtime. Die Sonne schien auf die Berge, ein angenehm warmer Fahrtwind wehte uns entgegen und auf dem Tresen wurde ein kleines Buffet aufgebaut. Es gab Reis, ein Hähnchencurry mit Kokosmilch, Fisch in süßsaurer Soße, gebratenes Schweinefleisch mit Gemüse, Frühlingsrollen mit einer Erdnusssoße und kleine Bananen. Zur Erinnerung, wir waren sechs Gäste auf diesem Boot. Was für ein Paradies diese ganze Fahrt. Und es war oberlecker. Alles. Ohne Ausnahme. Wir haben natürlich von Allem gekostet. Nur die Bananen mussten wir auslassen, aber von denen hatten wir ja schon zum Frühstück genascht. Wir waren einfach zu satt. Mit dicken Bäuchen fläzten wir uns in die gepolsterten Bänke mit den schulterhohen Lehnen und blickten bewegungsunfähig in die vorüberziehende Landschaft. Bitte nicht kneifen, ging es mir erneut durch den Kopf.


Als ich aufwachte, guckte mich Markus mit großen Augen an. „Wir sind da“, sagte er und holte mich damit aus einem Tiefschlaf. Ich war wohl kurz eingenickt. Kein Wunder, war die letzte Nacht doch wieder sehr kurz.


Wir legten an einer sandigen Stelle am Ufer an und stiegen ein paar alte, zerbrochene und mit Moos überwachsene Stufen hinauf zum Ban Bo. Einem Bergdorf mit etwa 50 Familien. Laut Tagesprogramm sollten wir hier der Herstellung von Whisky beiwohnen. Aber leider gab es gerade keine Reisernte und somit fiel dieser Besuch leider aus. Sehr schade, denn darauf hatten wir uns beide schon sehr gefreut. Stattdessen sahen wir, wie die Frauen schnell ihre Tücher zum Verkauf aufhängten und sich in ihre Webstühle setzten, um uns ihr Handwerk zu präsentieren. Und da war es wieder, dieses beklemmende, unwohle Gefühl in ihre Privatsphäre einzudringen, ihre Armut zu beglotzen und dann ohne etwas zu kaufen wieder als wohlhabende Touristen zu verschwinden. Aber was sollten wir mit Tüchern? Hätten sie irgendetwas für uns brauchbares gehabt, ich hätte es gekauft. Nur um dieses Gefühl loszuwerden. Vielleicht hätten wir ihnen auch einfach einen Dollar in die Hand drücken sollen. Aber viel lieber wären wir gar nicht erst ausgestiegen. Denn wir müssen uns nicht angucken, wie die Menschen dort leben. Würden wir es wollen, hätten wir eine Nacht „homestay“ gebucht, zu Hause bei einer einheimischen Familie. Mit ihnen ein oder zwei Tage verbracht. Das wäre etwas anderes. Aber aussteigen, gaffen und wieder gehen ist nicht unser Ding. Also gingen wir rasch wieder zurück zum Ufer auf unser Boot, auf dem wir bereits mit einem gekühlten Erfrischungstuch erwartet wurden. Hääh? Was für ein Wechsel. Die Dorfkinder standen noch winkend am Ufer. Sahen uns zu, wie wir mit nur einem Schritt über den Steg zum Boot in die Welt des Luxus eintauchten. Mit kühlfeuchten, blütenweißen, kleinen Handtüchern uns übers Gesicht wischten. Es kam uns so vor, als sollten wir uns die Armut aus den Augen waschen. Ein heftiger Gedanke, ich weiß. Aber es war ein so dermaßen unangenehmes Gefühl. Das hätte man den Kindern auch ersparen können. Auf der anderen Seite genossen wir es auch, so hofiert zu werden. Völlig absurd!


Es ist uns bewusst, dass solche Dörfer von den Touristen leben. Es also lebenswichtig für sie ist, dass Boote wie das unsere hier halten und möglichst viele Leute durchschleusen. Und würden sie etwas tun, etwas zeigen, wie man Whisky herstellt, welche Lieder sie singen, welche Tänze sie traditionell tanzen, dann wäre es auch etwas anderes. Dann könnten wir eine Spende geben und uns so bedanken sie unterstützen. Aber nur etwas kaufen, womit wir nichts anfangen können? Sich vor unseren Augen schnell in einen Webstuhl setzen und so tun als würde man gerade in die Arbeit vertieft sein? Damit haben wir ein Problem.


Wer denkt, diese Flussfahrt war seicht und monoton, der irrt. Zwar gab es keine Wellen wie am Meer, doch immer wieder gar nicht so kleine Strudel und Strömungen. Meist wichen wir diesen aus, doch ab und zu fuhren wir direkt hinein, was das schmale Boot ordentlich ins Wanken brachte. Vorsorglich hatten wir bereits zum Frühstück eine Tablette gegen Reiseübelkeit genommen. Und deren Wirkung überzeugte uns nicht das erste Mal auf unserer Reise.


Wir fuhren vorbei an kleinen Holzhütten mit Dächern aus Wellblech und Dörfern, direkt am Ufer des Mekongs gebaut. Davor schaukelten kleine, schmale Fischerboote im Wasser hin und her. Die meisten dieser Dörfer haben weder Strom noch Zugangsstraße. Ihr Weg führt immer über das Wasser. Sie leben vom Fischen und dem Anbau von Obst und Gemüse. Ein idyllischer Ort. Doch wir würden nicht mit ihnen tauschen wollen. Etwas weiter hinten inmitten eines Berges stieg eine schmale Rauchsäule empor. Dort wurde wahrscheinlich gerade ein Feuer gemacht. Es waren herrliche Bilder, die uns hoffentlich lange in Erinnerung bleiben werden.


Statt Chips wurde uns zwischendurch Obst gereicht. Das Verwöhnprogramm nahm kein Ende. Wir unterhielten uns ein wenig mit den anderen Gästen, Amerikanern. Ein junges Pärchen. Sie waren etwas neidisch auf uns, dass wir so viele Monate Zeit haben und uns einfach nur treiben lassen. Dabei ist ihre Reise mindestens genauso beneidenswert. Er hat ihr einen fünfwöchigen Überraschungsurlaub geschenkt. Sie wacht also morgens auf und erfährt erst dann von ihm, wo es am jeweiligen Tag hingeht und was sie unternehmen werden. Das nenne ich mal ein tolles Geschenk. Jaja die Liebe…


Ach, es war so unglaublich schön. Alles war so perfekt. Wir breiteten uns auf dem Boot aus, hatten ja mehr als genug Platz, und schipperten dahin. Ich schrieb mit einem Glas Tonic neben mir all die Eindrücke nieder, Markus wechselte zwischen dem Fotoapparat und der GoPro hin und her. Die Sonne zwinkerte uns zu und das Wasser rauschte an uns vorbei. Wir genossen diese Fahrt in vollen Zügen. Was für ein Leben. Was für eine tolle Reise. Einmalig. Wer mit dem Gedanken einer solchen Auszeit spielt, dem können nur raten sie sich zu nehmen. Statt sich in festen Strukturen zu verheddern einfach mal das Leben leben. Die Entscheidung ist nicht einfach, dass wissen wir. Aber die Möglichkeiten sind vielfältig und vor allem vorhanden. Es sind die Prioritäten, die man verschieben muss. Und das auch nur für eine begrenzte Zeit.


Vor uns ging langsam die Sonne unter. Meist allerdings hinter den Wolken. Von weitem schon konnten wir unsere Lodge am Ufer sehen. Ein paar Bungalows aus Bambus, verbunden mit einem langen Steg. Laut den Bildern im Internet eine Luxusherberge. Wir waren gespannt. Etwas später als geplant legten wir etwas außerhalb der Stadt Pak Beng an und betraten wieder Festland.

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