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BITTE NICHT KNEIFEN!

4. Juni


Alles, was ich höre, ist das Rauschen der Wellen. Immer und immer wieder laufen sie bis zu meinen Füßen aus. Weiß schäumt das Wasser und breitet sich über den flachen Sand aus, tastet sich vor, weiter und weiter, mir entgegen. Bevor es sich wieder zurückzieht, aufgesogen wird vom riesigen Meer, hinein in die endlose Weite.


Da rollt auch schon die nächste Welle heran. Etwas größer. Mit etwas mehr Kraft. Voller Energie. So faszinierend. Mit angewinkelten Beinen sitze ich auf dem Reisehandtuch, das sich wie ein großer Viledalappen anfühlt und klitzeklein gefaltet werden kann. Ideal für eine solche Reise. Und am Horizont färbt sich die Sonne ganz langsam rot, nimmt dabei die wenigen Wolken um sich herum mit, taucht alles in ein warmes Licht und wandert Stück für Stück den kleinen Inseln dort hinten entgegen. Ich halte inne. So schön ist dieser Moment. Kitschig-schön. Mit allen Sinnen genieße ich den Augenblick. Salzig schmecke ich das Meer auf meinen Lippen.


Vor ein paar Stunden noch umgab mich diese Leere. Entspannt waren wir aufs Moped gestiegen, auf der Suche nach einem kleinen, einsamen Strand zum Ausruhen und Entspannen. Und wir fanden ihn. Und noch so viel mehr.


Meine Augen füllten sich mit Tränen und begannen wieder zu funkeln. Zu leuchten. Denn es kam mir vor wie ein Traum. Hätte mir jemand versichert, ich sei auf den Malediven, ich hätte es ihm geglaubt. Wir befanden uns inmitten einer GEO-Reportage. In einem Hochglanzmagazin, gedruckt auf schweres Seidenpapier.


Tut mir leid, ich musste kurz unterbrechen und ins Wasser gehen. Zwar hatte ich bisher noch nie den Wunsch gehabt, bei Sonnenuntergang zu baden, aber wohl nur, weil ich nicht wusste, wie wunderbar das ist. Aber ich bin wieder da. Wo war ich stehengeblieben? Ach ja.


Wir standen also auf einer kleinen Anhöhe, hinter uns die holprige Sandstraße. Rechts und links von uns Palmen, hinter uns der Dschungel. Wir blickten auf die kleine Bucht unter uns. Mit türkisfarbenem Wasser. Und einem langen Steg, der ein ganzes Fischerdorf trug, und an seinem Ende ein kleiner Leuchtturm. Drumherum kurze Strandlinien, wie mit einem feinen Pinsel gezeichnet. Dahinter die Berge, überwuchert mit Grün und in der Sonne leuchtend. Und mitten auf dem Wasser ein kleines Boot, das, im Takt der Wellen schaukelnd, einsam vor sich hin trieb. Wer auch immer es dort verankert hatte, es war die richtige Stelle. Für das perfekte Bild. Für den Traum von der Ferne, in dem ich mich gerade befand. Ich war sowas von geplättet. Bitte nicht kneifen. Nicht aus Versehen aufwachen müssen.


Natürlich mussten wir zu einem der kleinen Sandstrände, die Badesachen griffbereit im Rucksack. Also rüber zur anderen Seite und von der Straße aus ab durchs Grün Richtung Wasser. Durch die Büsche. Vorbei an fünf Zentimeter breiten Ameisenstraßen, auf denen gerade Verkehr wie zur Rush-Hour herrschte. Und vorbei an nahezu unsichtbaren Netzen, die in der Luft hingen, ihre Erbauer thronend in der Mitte: Spinnen, groß wie Handteller. Ungelogen! Wie zwei kleine Mädchen duckten wir uns und schoben allein beim Anblick dieser Untiere Panik. Das plötzliche Aufkreischen konnten wir nur mit Mühe und Not unterdrücken. Ein Graus! Und der einzige Makel auf dieser herrlichen Insel. Und als wäre es nicht schon genug Überwindung gewesen, mussten wir sogleich den ganzen Weg wieder zurück zur Straße. Denn es war der falsche gewesen, der, der zu dem steinigen Abschnitt des Strandes führt.


Aber schon eine Ecke weiter waren wir am Ziel. Und das sogar fast allein. Bis auf das kleine Restaurant und die beiden Besucher war niemand zu sehen. Allein und verlassen. In dieser Bilderbuchwelt! Und doch zugleich so voller Glück. Was für eine traumhaft schöne Insel! Welch ein Segen, dass es uns jetzt hierher verschlagen hatte. In der low season, wie sie hier sagen. Zu einer Zeit, in der die langen Straßen und die Strände leer sind. Unbeschreiblich!


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*Um unsere Arbeit und diese Seite zu finanzieren, stellen wir hier jedes Kapitel auszugsweise für euch kostenfrei zur Verfügung.

 


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