18. Juni
Ich hatte es mir gerade auf dem Gemeinschaftsbalkon unseres Hotels gemütlich gemacht. Rauchte meine morgendliche Zigarette und genoss ein Glas Kaffee. Wir haben uns nämlich einen kleinen Wasserkocher zugelegt und eine Tüte 3in1 Kaffee gekauft. Ja, die ehemaligen Coffeeshopbetreiber trinken jetzt Instantkaffee. Denn wenn ich morgens keinen Kaffee bekomme und wir ewig durch die Gegend laufen, um einen offenen Kaffeestand zu finden, bekomme ich schlechte Laune. Dann doch lieber Fertigkaffee aus dem Zahnputzglas. Da haben wir dann beide etwas davon und starten ab sofort fröhlich und stressfrei in den Tag.
Der erste Satz stand schon auf meinem Bildschirm, der zweite Formte sich in meinem Kopf. Über mir eine dunkle Wolkendecke, die sich wie ein dicker Schlauch in Richtung Horizont zog. Dann kam der Regen. Eimerweise. Ich musste mich beeilen, um den Rechner zu retten, sprintetet aufs Zimmer, kam wieder zurück um meinen Kaffee zu holen, fand keinen Halt mehr auf den spiegelglatten Fliesen, rutschte aus und landete direkt auf dem Rücken neben der scharfkantigen Stufe der Türschwelle. Der Aschenbecher flog über den kompletten Balkon und krachte laut auf den Boden. Markus rechnete mit dem Schlimmsten und kam herbeigeeilt. Glück gehabt. Nichts passiert. Schmerzen vergehen irgendwann.
Was für ein Schreck, so früh am Morgen. Wir haben uns den Wecker auf 6.30 Uhr gestellt, damit ich noch etwas Zeit zum Schreiben habe. Zu schön war der gestrige Tag, als dass wir ihn einfach unter den Tisch fallen lassen können. So sitze ich jetzt auf dem Bett, den Computer auf meinem Schoß und tippe gegen die Zeit.
Freunde von uns aus Hamburg waren 2012 auf einer Weltreise und auch in Südostasien und Kambodscha unterwegs. Sie haben uns mit ihrem damaligen Reiseberichten, die heute noch im Internet zu finden sind, überhaupt erst auf die Idee gebracht, hierher nach Kampot zu fahren. Wir wären direkt in die Hauptstadt nach Phnom Penh gereist. Doch was hätten wir verpasst.
In ihrem Reiseblog schrieben sie von einem Geisterdorf, welches oben auf einem Berg zu besichtigen ist. Sie hatten nicht das beste Wetter, keine richtig gute Sicht nach unten auf die Stadt und der versprochene Wasserfall führte kaum Wasser. Neben ihrem Text ist ein Foto von einer Statur zu sehen, die sich mit einem Bambusgerüst umstellt noch im Bau befindet. Da kam uns die Idee, diese Tour ausfindig zu machen, diese Statur zu suchen, zu fotografieren und ihnen das Foto zuschicken. Inzwischen sollte sie ja fertig sein.
Gesagt getan, wir buchten die exakt gleiche Tour und fuhren hoch zur Bokor Hill Station. Sie wurde 1924 als Naherholungsgebiet für die französischen Kolonien eröffnet, mit Übernachtungsmöglichkeiten, einem Casino direkt an den Felsen, einem See und einer kleinen katholischen Kirche. Durch die verschiedenen Kriege wurde die Station immer wieder gestürmt und von Aktivisten übernommen. Zuletzt von den roten Khmer, die bis in die 90 Jahre hinein sich hierhin zurückzogen. Die Gebäude verfielen und das Grün versuchte sich das Stück Land zurückzuerobern. Es wurde zu einer Geisterstadt und war nur für geübte Motorradfahrer oder zu Fuß auf einer roten Sandstraße erreichbar. Allein drei Stunden dauerte die motorisierte Anfahrt.
Wir dagegen waren mit einem Minibus in einer halben Stunde oben. Der Weg ist inzwischen geteert und die wahrscheinlich bestausgebaute Straße Kambodschas. Doch was war in der kurzen Zeit passiert? Ein reicher Kambodschaner kaufte das weite Land mit der Vision, ein neues Resort zu bauen, größer und mächtiger als es einst war. Und was auf der damaligen Tour unser Hamburger Freunde noch Graslandschaft war, ist inzwischen zum Teil fertig gestellt und vor allem schon eröffnet. Wie spannend für uns, hatten wir doch die Bilder und den Reisebericht von vor drei Jahren im Hinterkopf und somit einen direkten Vergleich. Das alte Casino war damals zwar nicht zu besichtigen, aber zumindest von außen zu bewundern. Auf den Fotos sind wunderschöne alte Gemäuer zu sehen, teilweise noch mit Ornamenten und alter Farbe. Wir dagegen konnten ins Casino hinein, liefen durch die vielen verschachtelten Räume, kleine Wendeltreppen empor und besichtigten sämtliche Terrassen, die sich an allen Seiten des Gebäudes auf die Stockwerke verteilten. Aber wir befanden uns in einem frisch und glatt verputzten Betonrohbau. Ein wenig Farbe an die Wände gemalt, ein paar Holzbohlen auf die Fußböden gelegt und wir befänden uns in einem fantastischen 5-Sterne-Haus. Mit einem Ausblick, der einem den Atem nimmt. Mit Blick auf einen riesigen Wald, der bis hinunter zur Stadt führt, über den Strand, übers Meer auf die großen Inseln, die zwischen der Wolkendecke hervorschauten. Wir hatten Glück mit dem Wetter. Denn in nur ungelogen fünf Minuten zog sich komplett alles um uns herum zu. Wir konnten die Nebel der Wolken sehen, wie sie den Berg hochkrochen und uns umschlungen. Um uns herum war nichts mehr zu erkennen. Kein Ausblick, kein Auto auf dem Parkplatz, indem unser Guide wartete, die ganze Landschaft war eine andere und im Grau versunken. Irre. Und genauso schnell klarte der Blick später auch wieder auf. Phänomenal. Allein dieses Wechselspiel war ein absolutes Highlight dieser Tour.
Inmitten dieser Landschaft erblickte ich eine Fläche mit vielen Betonpfeilern. In geraden Linien standen sie exakt ausgerichtet einfach da, umgeben von Grün. Unser Guide erzählte uns, hier sollte ursprünglich das Hauptgebäude des neuen Resorts stehen, das neue Casino. Und tatsächlich, ein paar hundert Meter weiter stand ein protziger, hässlicher Klotz mit genau diesen Pfeilern als Grundgerüst. Da baut man also los, merkt, dass irgend etwas stört an der Lage oder vielleicht der Beschaffenheit des Bodens, lässt alles so stehen und liegen und beginnt an anderer Stelle einfach nochmal von vorn. Es war alles so skurril dort oben. Alte Bauten, neue Gebäude, dann die ganze Landschaft, die sich immer wieder in Nebel hüllte. Dazu all diese Geschichten, eines der Häuser wäre die Ferienresidenz vom König gewesen, ein winzig kleines zerfallenes Haus, welches keinerlei königliche Größe hatte und zu dem wir auch nur wenig im Internet oder unseren Reiseführern fanden. Unsere Hamburger Freunde schrieben damals, es sei ein Wohnzimmerhaus. Wohnzimmerhaus? Könnte passen, denn auf deren Terrasse stand noch ein alter, oval gemauerter Swimmingpool, der mit Regenwasser gefüllt war. Jeder schreibt und erzählt etwas anderes. Aber das macht diesen Ort irgendwie noch geheimnisvoller.
Jedenfalls sind wir natürlich rein ins 5-Sterne-Luxus-Hotel, genannt neues Casino. Und ja, es war ein Sternehotel. Absolut verrückt, denn wir befanden uns in Kambodscha, inmitten von Armut. Etwas entfernt stand ein kleines Dorf mit Blechhütten, teilweise fehlten die Wände und man konnte ins Innere sehen. Ein Dorf der Bauarbeiter, die täglich für dieses Projekt arbeiteten. Noch verrückter war, dass wir in kurzen Hosen und Flip Flops über den glänzend gefliesten Boden liefen, was aber niemanden störte. Ich stellte mir vor, ich würde hier für viel Geld übernachten und täglich kommt eine Horde Touristen und begafft das Hotel.
Wir besuchten auch das tatsächliche Casino in der ersten Etage. Weiche, dicke Teppiche, warmes Licht und Unmengen an Automaten. Sie hatten sogar Roulette-Tische. Komplett automatisiert. Eine Computerstimme war der Spielleiter. Statt die roten und schwarzen Steine zu platzieren, drückte man irgendwelche Knöpfe. Es war wirklich verrückt.
Die anderen aus unserer Gruppe waren etwas verwirrt. Wieso besichtigen wir ein Hotel und ein Casino? Was hat das mit Kambodscha zu tun? Versprochen war doch eine Geisterstadt. Und wir wären wahrscheinlich auch enttäuscht und hätten mit diesem Stopp nichts anfangen können, hätten wir nicht den Reiseblog von unseren Freunden gelesen mit der dazugehörigen Geschichte. So unterschiedlich können die Eindrücke sein. Es kommt halt immer auf die Perspektive an. Wir fanden es toll, wenn auch dieser ganze millionenschwere Bau für unser Verständnis absolut hässlich war und keinerlei Berechtigung in dieser Landschaft hatte. Unser Guide erzählte uns zudem, dass die Zimmer kaum gebucht werden. Nur zum Jahreswechsel kämen immer wieder Chinesen. Warum, haben wir nicht hinterfragt. Aber etwas nach hinten versetzt befand sich ein noch im Bau befindlicher chinesischer Tempel.
Die Statur haben wir natürlich auch gefunden. Inzwischen ist sie fertig, bunt angemalt und blickt hinter zum Meer. Auch sie ist nicht wirklich schön anzusehen, sehr kitschig geformt, doch mit ihrer Größe dann doch irgendwie beeindruckend.
Weiter ging es zum besagten Wasserfall. Wir rechneten natürlich damit, dass er auch bei uns kaum Wasser führte, denn die Regenzeit hat gerade erst begonnen. Doch es waren gigantische Wassermassen, die sich über die Felsen schoben und nach unten prallten. Der größte Wasserfall, den wir bisher auf unserer Tour gesehen haben. Allein das laute Rauschen war beeindruckend.
Wir fuhren zurück zum Hotel. Drei Stunden hatten wir, um uns selbst zu beschäftigen, bevor der zweite Teil der Tour startete. Eine Sonnenuntergangsbootsfahrt auf dem Teuk Chhou. Diesen Teil haben unsere Freunde damals ausgelassen, denn sie waren zuvor am Mekong unterwegs und haben dort bereits unzählige Sonnenuntergänge bewundern können. Vielleicht haben sie aber doch etwas verpasst.
Wir stiegen auf ein Holzboot und setzten uns ganz vorn aufs Sonnendach, um die beste Sicht zu haben. Ganz langsam fuhren wir den breiten Fluss hinauf Richtung Stausee, hinter uns irgendwo das Meer. Zwei Brücken mussten wir passieren, die Old Bridge und die New Bridge und bei beiden konnten wir auf dem Fußboden sitzend die Träger berühren, so knapp war die Durchfahrt. Völlig entspannt saßen wir da, blickten auf das Wasser und auf einzelne Hütten am Ufer. Eine Gruppe von Fischer kam uns mit ihren blauen Booten entgegen und lieferte herrliche Fotomotive. Die Dämmerung brach langsam ein, doch die Sonne färbte den Himmel nicht orange, sondern versteckte sich hinter den Wolken. Aber es war egal. Diese Stimmung war einfach zu toll. Wir unterhielten uns ein wenig mit den anderen, tauschten uns aus und bekamen ein paar Tipps für unsere Weiterreise. Inzwischen legte sich die Dunkelheit immer weiter auf die Landschaft, bis so gut wie nichts mehr zu sehen war. Kein Licht aus den Hütten am Ufer, kein anderes Boot, einfach nur Dunkelheit. Und wir mitten auf dem Fluss. Einmalig! Diese Ruhe.
Auf der Rückfahrt hielten wir dann noch kurz am Ufer vor einem Waldstück an. Ganz viele kleine blinkende Punkte schwirrten um die Bäume herum und zwinkerten uns zu. Glühwürmchen. Leider waren sie zu weit oben, als dass wir sie mit der Kamera hätten einfangen können. Denn es war ein schönes Bild und passte hervorragend in die ganze Atmosphäre dieser Tour, die anschließend wieder an der Flusspromenade in Kampot endete.
Vielleicht sind die Sonnenuntergänge und Eindrücke auf dem Mekong noch beeindruckender. Wir aber hatten mit dieser Bootsfahrt einen perfekten Abschluss für einen wunderschönen Tag. Und nun müssen wir uns beeilen, denn heute geht es direkt weiter mit der Erkundung der Umgebung. Wir haben uns ein Tuktuk samt Fahrer gemietet, um auf eigene Faust durchs Land zu ziehen.